Gabbeh-Teppiche

Stammeskunst der Nomaden
aus dem südwestlichen Iran

Der „Gabbeh" gehört zu einer kleinen speziellen Gruppe von iranischen  Nomadenteppichen. Es handelt sich um eine genuine Teppichart, die als teppichkundlich und kulturgeschichtlich wertvoll einzuordnen ist

Gabbeh-Teppich

Der Gabbeh unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von allen sonstigen persischen Teppichen. Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale sind die hohe Anzahl der eingefügten Schussfäden, sie können bis zu acht fest angeschlagene Fäden betragen, des Weiteren die hohe Flordecke, die recht grobe Knüpfstruktur und vorwiegend großflächige geometrische Ornamente.  Expressive Farben und abstrakte Musterkompositionen sind seine gestalterische Besonderheit. Da diese Teppiche von Nomaden-Stämmen mit unterschiedlichem sozialen Status hergestellt werden, gibt es von den höher gestellten Stämmen durchaus auch feinere Gabbehs, die aber innerhalb dieser Teppichart erkennbar bleiben.

Gabbehs, soweit es sich um authentische Stücke handelt,  werden von west- und südwest-iranischen Nomaden, Halbnomaden und von ländlich, dörflichen Bewohnern hergestellt, die sich aus den Nomadenstämmen entwickelt haben. Im Wesentlichen sind es die Stämme der Luri, Bachtiari, Ghashgai, Boyer-Ahmad und Khamseh und Afscharen. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich in die Stämme marginal auch arabische Volksgruppen (Arab) und andere Ethnien eingemischt. Das Entstehungsgebiet sind die west- und südwest-iranischen Provinzen Bachtiar, Fars, das südliche Zagros-Gebirge mit seinen Randzonen und westliche Gebiete der südiranischen Provinz Kirman. Gabbehs wurden von diesen Gruppen seit alter Zeit für die Eigenverwendung hergestellt.

Die allgegenwärtige Natur, die ständig wechselnden Lebensräume und ihre speziellen Lebensinhalte boten ihnen die vielfältigen Inspirationen für ihre oftmals kühnen Teppichbilder. Sowie die Natur in ihrer Lebendigkeit, in ihrem Werden und Vergehen, in ihrer ewigen Unvollkommenheit nie „perfekt" ist, so wenig sind es auch die Teppiche dieser Nomaden, die in ihrer naturidentischen Lebensweise fern jeder Perfektion sind. Ganz im Gegenteil, Gabbehs zeichnen sich oftmals durch starke Asymmetrien in Muster in Farbgebung aus. Sind kleinere Abweichungen auf die manuelle Fertigung zurückzuführen, so liegt den darüber hinausgehenden Asymmetrien gelebte kreative Gestaltungsfreude und immer bewusstes Handeln im naturbezogenen Sinne zu Grunde. Nur Allahs Werk kann und darf perfekt sein. Gelebte Mystik, das Wissen darum, dass die bösen Geister einen "schlecht" gelungenen Teppich nicht in Besitz nehmen würden, spielten eine wichtige Rolle.

Gabbeh-Teppich

Diese Nomaden sind vorwiegend schiitische Muslime, auch sind sie nach wie vor in  mythischen, mystisch-naturreligiösen Kulturen verwurzelt. Neben Allah gibt es eine Vielzahl von Geistern, Dämonen, Zauberern und Hexen. Sie alle mischen sich in das Leben der Menschen ein. In diesen überlieferten Vorstellungen spielen magische Zeichen und Rituale, die von Schamanen vollzogen werden, eine bedeutende Rolle. Die Schamanen haben eine Mittlerfunktion zu Gott und dem Übersinnlichen.  Die Nomaden erflehen durch sie Schutz und Wohlergehen, da ihnen (außer den Schamanen) der direkte Zugang verwehrt bleibt. Diesem Zwecke dienen ebenso Talismane und magische Zeichen, die sie in ihre Gabbehs einknüpfen, mit denen sich ein Jeder Schutz für sich und die Seinen erhofft. Dies beweist, dass es sich hier um gelebte Mystik und nicht um leere Tradition handelt. Der tiefere Sinn ist erfasst, und bewusst wird über die magischen Inhalte mit Anderen nicht gesprochen, da sich ihre Wirkung nur im Verborgenen entfalten kann. Bis heute sind Formen, Zeichen und Muster nur teilweise bekannt und erforscht.

Der Gabbeh-Teppich findet bei den Nomaden eine vielseitige Verwendung,  zum Beispiel als Bodenbelag, Bett, Decke, Vorhang ect., besondere Stücke dienen kultisch/religiösen Zwecken.

In der persischen bürgerlich/höfischen Gesellschaft hatte man für derartige Teppiche kein Verständnis, da sie nicht ihren kunsthandwerklichen Normen entsprachen und jenseits ihrer ästhetischen Wahrnehmung waren. Im Gegenteil, wer dort keinen "edlen Perser" besaß, galt als arm und war nicht gesellschaftsfähig. So blieb der „Gabbeh" außen vor. Auf seine stammesinterne Verwendung beschränkt, konnte er seine genuine Ausdruckform bewahren.

Bis in die 1960er Jahre war der "Gabbeh" im europäischen Handel völlig unbekannt. Unser modernes Kunstverständnis hat uns auf diese Teppiche aufmerksam werden lassen und uns in die Lage versetzt, in ihnen  Außergewöhnliches zu erkennen. Auf Grund schwindenden Nomadentums, bedingt durch die zunehmende allgemeine Verbürgerlichung der Gesellschaft bis hin in die entlegensten Landeswinkeln, gibt es heute noch wenige authentische, genuine Gabbehs aus nomadischer, dörflich-ländlicher Produktion.

"Gabbeh" in unserem Sprachverständnis bedeutet "Das sind unserer Teppiche". Die Nomaden meinen damit die Teppiche, die sie aus ihrer Sicht und ihrem Kunstverständnis für ihre eigene Verwendung gestalten. Sie sagen: "Das ist unsere Kunst"

Cornelius W. Bäumer

Gabbeh-Teppiche

Seite: 1 von 1 | Bilder: 1 bis 9